|
|
Bela Bartók (1881-1945)
Streichquartett Nr. 3 Sz. 85, BB 93
Prima parte: Moderato Seconda parte: Allegro Ricapitulazione della prima parte: Moderato Coda: Allegro molto
In Reclams Kammermusikführer heißt es über die sechs Streichquartette Bartóks, sie seien „Ereignisse in der Musik der Gegenwart insgesamt. Technisch und geistig sind sie derart anspruchsvoll, dass nur den besten Quartettvereinigungen eine gültige Wiedergabe gelingt.“ Das dritte dieser Quartette entstand im September 1927 in Budapest. In Europa brachte es Bartók den Ruf ein, einer der ersten Komponisten neuer Kammermusik zu sein. Die Zwanziger Jahre waren die ‚wilden‘ Jahre Bartóks, in denen er die Härte der ihm eigenen Tonsprache entwickelte. Er „erweiterte den Klang des Streichquartetts durch neue oder ungewöhnliche Spieltechniken: das Streichen und Schlagen mit dem Bogenholz auf die Saiten, das Spiel am Steg und am Griffbrett, die gitarrenähnliche Behandlung der Instrumente und das Bartók-Pizzicato, bei dem die gezupfte Saite auf das Griffbrett schlägt.“ Zu seiner neuen – atonalen -Tonsprache kam Bartók nicht wie Schönberg, der die Auflösung der Tonalität, wie sie sich in der Spätromantik andeutete, zu Ende dachte, sondern durch ein Zurückerinnern an Musik vor der Dur-Moll-Tonalität, wie sie sich in der Volksmusik Südosteuropas erhalten hatte. „Das Studium all dieser Bauernmusik“, schrieb er, „war deshalb von entscheidender Bedeutung für mich, weil sie mich auf die Möglichkeit einer vollständigen Emanzipation von der Alleinherrschaft des bisherigen Dur- und Moll-Systems brachte.“ Sie zeige außerdem „mannigfaltigste und freieste rhythmische Gebilde und Taktwechsel“.
Ein erster Überblick über das etwa 14/15 Minuten dauernde 3. Streichquartett: Die vier oben angegebenen Sätze gehen ohne Pause ineinander über. Auseinanderzuhalten sind sie äußerlich durch das Tempo: Langsam - schnell - langsam - schnell. In den beiden schnellen Sätzen findet sich auch die Härte der ‚wilden‘ Jahre; die beiden Moderato-Sätze bestechen zum großen Teil durch feinsinnige Polyphonie und klangschöne Sensibilität.
Zu Beginn des Ersten Satzes wird in einer Art Einleitung zunächst ein Pianissimo-Akkord aufgebaut, dann von der 1. Violine eine Reihe von Tönen vorgeführt, aus der die Themen und Motive gestaltet werden:
|
|
Das erste Thema beginnt mit einem aufwärts steigenden Quartsprung:
|
|
Es wird fugatoähnlich fortgeführt - das kontrapunktische Ineinander spielt eine wesentliche Rolle in diesem Quartett. Drei Akkordschläge beenden diesen ersten Abschnitt. Es folgen drei weitere Abschnitte, in denen Motive des Themas anklingen. Der zweite bringt durch ‚con sordino‘, ‚sul ponticello‘ und Glissando neue Klangfarben, die abschließenden Akkordschläge sind zahlreicher und intensiver. Ähnlich verläuft der dritte Abschnitt. Den hämmernden Akkordschlägen (‚martellato‘) am Ende dieses Abschnitts werden im vierten Abschnitt zarte Klänge entgegengesetzt. Auch hier gibt es verfremdete Klangfarben, u. a. durch Verwendung des PizziPizzicato cato.
Zu Beginn des Zweiten Satzes lassen ‚Gitarrenanklänge‘ zu einem langen Triller der 2. Violine die Musik freundlich-folkloristisch erscheinen, dazu passt ihr ungarisch wirkendes erstes Thema,
|
|
das im Folgenden vielfach abgewandelt wird. Die Forte-Schläge markieren nun einen – freilich aggressiven – Tanzrhythmus. Eine Umwandlung des ersten Themas,
|
|
zunächst von Bratsche und Cello eingeführt, führt auch zu einer Umwandlung der Stilmittel. Zwei Mal erscheint das barocke Element des Fugato; das zweite der beiden Fugati ist durch die Pizzicato-Begleitung und die Auflösung in Sechzehntel
|
|
besonders reizvoll. Zwischen den beiden Fugati klingt in einem längeren Teil mit ausgesprochen verzwicktem Rhythmus das zweite Thema immer wieder an. Nach dem zweiten Fugato-Durchgang werden die ‚Gitarrenklänge‘ wiederholt und schließlich leiten Glissandi den Schluss ein, dessen letzten Takte nur von einem tiefen f in Bratsche und Cello gebildet sind und unversehens mit einem fis des Cellos in den Dritten Satz übergehen. Den nennt Bartok ‚Ricapitulazione della prima parte’, üblicherweise ‘Reprise’ genannt, also eine Wiederaufnahme des ‘Ersten Satzes’, den man hier aber kaum wiedererkennt. Im Grunde ist es ein eigenständiger langsamer Satz mit einer kontrapunktischen Verarbeitung eines ruhigen, ja melancholischen Motivs aus diesem ‘Ersten Satz’. Hier klingt das Glissando wie eine Klage - das Glissando sei ja die extremste Ausdrucksform der Klage, meint Thomas Mann im ‚Doktor Faustus‘. Gegen Ende wird die Ruhe unterbrochen von harten Akkorden, die ‚martellato‘ gespielt werden sollen.
Die rasante Coda ist so ausführlich, dass Bartok ihr einen ganzen, den Vierten Satz einräumt. In ihr werden noch einmal die beiden Themen des Zweiten Satzes aufgegriffen - abgewandelt, aber gut erkennbar.
Februar 2020
|
Streichquartette / Streichquartett Nr. 4 (1928)
|
|
|
|
|