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Ankündigung Zu den ganz großen Werken der Kammermusik zählen Schuberts Streichquintett und die letzten Streichquartette. Am bekanntesten von diesen ist das Quartett mit der Bezeichnung ‚Der Tod und das Mädchen‘. Schubert hatte ein Gedicht von Matthias Claudius, das diesen Titel trägt, vertont; die zweite Strophe dieser Vertonung (Der Tod spricht zum Mädchen, das den Tod fürchtet: „Bin Freund, und komme nicht, zu strafen./Sei guten Muts! ich bin nicht wild,/Sollst sanft in meinen Armen schlafen!) verarbeitet Schubert in seinem Quartett zu einem wundervollen Variationensatz. Das Tröstliche ist aber auf diesen Satz beschränkt; ansonsten prägt Schuberts schmerzliches Leiden am Leben („ ... ich fühle mich als den unglücklichsten, elendesten Menschen auf der Welt.“) das Werk: sein Beginn erinnert an das Schicksalsmotiv der Fünften von Beethoven und der letzte Satz ist ein „atemberaubenden Totentanz“.
Franz Schubert (1797-1828)
Streichquartett d-Moll D 810 (‚Der Tod und das Mädchen‘)
Allegro Andante con moto Scherzo: Allegro molto Presto
Zur Zeit der Entstehung des Quartetts (1824/25) schreibt Schubert an einen Freund: „ ... ich fühle mich als den unglücklichsten, elendesten Menschen auf der Welt. Denk Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will, und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu Nichte geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bieten als höchstens Schmerz, dem Begeisterung (wenigstens anregende) für das Schöne zu schwinden droht, und ich frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? 'Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr', so kann ich wohl jetzt alle Tage singen, denn jede Nacht, wenn ich schlafen geh, hoff ich nicht mehr zu erwachen, und jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So freude- und freundelos verbringe ich meine Tage ...“. Das Quartett in d-Moll entsteht aus einem schmerzlichen Leiden am Leben heraus und dem Wunsch, von ihm durch den Tod erlöst zu werden.
Charakteristisch für die tragische Stimmung des gesamten Werks ist die Einleitung des Ersten Satzes: Die harten, schneidenden abwärtsführenden Triolen erinnern an das Schicksalsmotiv von Beethovens ‚Fünfter‘ und bleiben während des ganzen Satzes präsent:
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so in der Begleitung des Hauptthemas, dessen Sforzati das Bedrohende, Ängstigende unterstreichen:
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Im folgenden Piano und Pianissimo entsteht aus diesen Triolen ein kurzes neues Motiv, das ein wenig die Härte mildert, aber hingedrängt wird zu einer gesteigerten Wiederholung des Schicksalsmotivs. Noch einmal derselbe Vorgang; noch einmal ein neues, nun ein wenig längeres Motiv, das nun hinführt zum freundlich-melancholischen Seitenthema:
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das bis zum Ende des ersten Satzteils eine Reihe von Umwandlungen erfährt - als neues Element kommen kontrapunktisch begleitende Sechzehntel-Figuren hinzu – und sehr schnell einen schmerzlich-gespannten Ausdruck annimmt. Der zweite Teil des Satzes hat im klassischen Sonatensatz die Aufgabe, die bisher dargestellten Themen neu zu beleuchten, sie umzuwandeln und in neue Zusammenhänge einzufügen. Schubert hatte dies mit dem zweiten Thema schon im ersten Teil durchgeführt. Nun, im zweiten, bleibt er weiterhin auf das zweite Thema fixiert und bringt dessen Entfaltung zu einer extremen Steigerung des schmerzlich-gespannten Ausdrucks. Der dritte Teil des Satzes greift auf den ersten zurück, lässt zwar das Hauptthema aus, wiederholt aber ansonsten im Wesentlichen den ersten Teil. Die Coda beginnt mit erschreckend fahlen Klängen. Eine Stretta mit dem Hauptthema entwickelt sich zum Fortissimo der Abschlussakkorde. Doch statt ihrer schließt der Satz mit einem kurzen Trauermarsch und einem Absinken der für den Satz so bedeutsamen Triolen ins Nichts.
1817 vertonte Schubert das Gedicht ‚Der Tod und das Mädchen‘ von Matthias Claudius:
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Das Mädchen Vorüber! Ach, vorüber! Geh, wilder Knochenmann! Ich bin noch jung, geh Lieber! Und rühre mich nicht an. |
Der Tod Gib deine Hand, du schön und zart Gebild! Bin Freund, und komme nicht, zu strafen. Sei guten Muts! ich bin nicht wild, Sollst sanft in meinen Armen schlafen! |
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Sieben Jahre später greift Schubert für den Zweiten Satz die dunkel-tröstliche Melodie der zweiten Strophe wieder auf und gibt ihr fünf wundervolle Variationen mit. Die zerrissene Melodie der Geige in der ersten Variation lässt an das ängstliche Flehen des Mädchens denken. Die zweite Variation bringt im Cello das tröstliche Thema in veränderter Form. Die dritte wird durch ein prägnantes rhythmisches Motiv bestimmt, das ihr teilweise einen starken dramatischen Akzent verleiht. Die vierte Variation in Dur wirkt mit ihren zarten Triolen-Figurationen der 1. Violine und den Andeutungen des Themas im Hintergrund der Begleitung melancholisch-versöhnlich. Die letzte Variation beginnt sehr nervös, steigert sich im zweiten Teil zu höchster Erregung, verklingt aber dann in einem verklärten Pianissimo; das Moll-Thema des Todes wird in lichtes Dur gewendet: ‚Sollst sanft in meinen Armen schlafen!‘
Das Moll des Scherzos, der synkopierte Rhythmus, Sforzato-Akkorde lassen den Scherzo-Humor ausgesprochen grimmig wirken. Der Mittelteil (Trio) ist mit seiner lieblichen Melodie, den tänzerischen Punktierungen, den Vorschlägen und den an Vogelgezwitscher gemahnenden Figurationen und Trillern der 1. Violine ein recht unbeschwerter, heiterer Moment inmitten der tragischen Gestimmtheit dieses Quartetts.
Ausdruck von Verzweiflung, von Zerrissenheit, von schmerzlichem Leiden am Leben, die in Musik umgesetzte Klage ‚Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr' prägen das Finale. Unisono wird im Tarantella-Rhythmus das Hauptthema vorgestellt:
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Vor allem die Kette von Achteln am Ende des Themas wird im Folgenden zum Motor der Entwicklung. Das Zweite Thema
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mit seinen durch heftige Sforzati gewaltsam wirkenden langgezogenen Akkorden unterbricht das Tarantella-Treiben, verstärkt aber eher das Düster-Bedrohliche. Eine Umformung dieses Zweiten Themas
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ist eine Reminiszenz an Schuberts op. l, den ‚Erlkönig‘ ("Siehst Vater du den Erlkönig nicht") - möglicherweise ein Hinweis auf das Verlockende, Verführerische des Todes, für das der Erlkönig steht („Du liebes Kind, komm, geh mit mir!"). Und Schuberts Todessehnsucht zur Zeit der Entstehung des D-Moll-Quartetts („jede Nacht, wenn ich schlafen geh, hoff ich nicht mehr zu erwachen“) mag seine Erinnerung an sein Opus 1 erklären. Gegen Ende des ersten Satzteils wird die sanfte Verlockung mit einem neuen Thema noch einmal betont:
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Akkorde im ‚Galopp-Rhythmus‘ seiner Begleitung bilden den Übergang zum zweiten Teil des Satzes, einer gesteigerten Wiederholung des ersten: Der Rhythmus wird zerrissener, die Akkordik schärfer, die Sforzati werden härter. Dieser zweite Teil beginnt mit dem Hauptthema und endet mit ihm. Dann bricht als Coda das Schluss-Prestissimo herein, das die Zerrissenheit in einem erschreckenden Ausmaß zeigt.
März 2019
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D 804 a-Moll ('Rosamunde') / D 887 op. 161 G-Dur
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